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Welcome to Derry
Das Modell »Welcome to Derry« ist meine nunmehr fünfte freie Modellarbeit und – wie seinerzeit die »Katakomben von Buchhaim« – ein langgehegtes Herzensprojekt. Gegenstand der Umsetzung war dieses Mal ein Roman, der mich seit frühesten Jugendzeiten begleitet, und der nach wie vor zu meinen bislang ungeschlagenen Lieblingsromanen zählt: Stephen King's »Es« – ein schlichtweg haarsträubend beängstigendes, fantastisch konzipiertes und psychologisch wie inhaltlich fein nuanciertes Epos über die Manifestation des Bösen und die Macht des kindlichen Glaubens.
Beeindruckend ist vor allem, wie sehr der Roman seinen Charakter im Laufe der Jahre für mich gewandelt hat, ohne dabei auch nur einen Funken an Faszination einzubüßen. Habe ich beim ersten Lesen im Alter von zwölf vor Angst und Entsetzen fast mein Kopfkissen zerkaut und wochenlang von nächtlichen Besuchen im Badezimmer Abstand genommen, so löst die Geschichte der sieben Verliererkinder heute (23 Jahre und noch mehr Lesedurchgänge später) eine Wärme und sehnsüchtig-traurige Empathie bei mir aus, wie es sonst kaum einer Erzählung je gelungen ist.
Derry ist für mich ein Stück Zuhause, der Besuch dort wie ein Besuch bei alten Freunden. Und wie jeder Blick in die Vergangenheit ist auch dieser mit recht ambivalenten Gefühlen verbunden. Trotzdem muss man immer wieder hinschauen.
Warum ich mich bei so viel Begeisterung und Lobhudelei erst jetzt an einer Umsetzung der Vorlage versuche? Ich habe mich schlichtweg nicht früher an diese Ikone herangewagt.
So viele Emotionen verbinde ich mit diesem Buch, so viele Bilder und nicht zuletzt so viel Angst – da brauchte es schlicht ein rundes Konzept, bevor sich überhaupt an ein eigenes Derry-Projekt denken lies. Denn eine Umsetzung sollte beide Seiten Derrys zeigen: die romantisch-sepiafarbene sowie die dunkel-perfide, die Nostalgie wie das Grauen – und all das unter dem einbindenden Konzept der 50er Jahre.
Und wie es sich oft bei Projektideen verhält, an denen man gedanklich schon seit Jahren immer mal wieder herumfeilt und viele kleine Ansätze hat, die sich aber partout nicht zu einem großen, stimmigen Ganzen zusammensetzen wollen – manchmal genügt ein einziges Schlüsselelement, ein einziges Bindeglied und die Sache ist rund. In meinem Fall war es ein alter Phono-Eckschrank aus dem Jahr 1958.
Mein Derry – sowie das, was darunter liegt – ist nun in dieses Möbel integriert. Der Roman mit all seinen Anspielungen auf den Rock'n'Roll der 50er und die tanzende Leichtigkeit der Kindheit ist mit dem Musikmöbel aus dem Jahr 1958 zu einer Einheit verschmolzen, auf und in es hinein gebaut. Die Oberfläche bildet dabei die, in das goldene Licht eines Spätsommertages getauchte, romantische Straßenansicht der Stadt Derry. Erst wenn man die Schranktüren öffnet, erhält man Einblick in das, was darunter liegt: die Abwasserkanäle in der Tiefe ... und im grünen Schein der Totenlichter.
Dieses besondere Projekt zu realisieren, war die Erfüllung eines Traums und ein Genuss, wie man ihn nur selten hat (Einblicke auf den Entstehungsprozess gibt es wie immer in der Work-In-Progress-Dokumentation). Und auch wenn es wohl kaum eine visuell-plastische Darstellung geben kann, die die unzähligen Facetten dieser großen Romanvorlage widerspiegelt – dies ist nun meine persönliche größtmögliche Annäherung, mein persönliches Denkmal für eine Geschichte, die mich schon so lange begleitet und wärmt, beängstigt und tröstet.
In diesem Sinne: Welcome to Derry!