Nightfall in the Lot
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Von Planänderungen und drehbaren Welten
Geht es an ein neues Projekt, reizt mich kaum etwas so sehr wie das Experimentieren mit neuen Darstellungstechniken und Baukonzepten. Es kommt vor, dass mir die Idee zu einem reizvollen Darstellungsansatz schon lange im Kopf herum spukt, bis sie auf eine passende Buchvorlage trifft. Häufiger ist es genau andersherum, und ich warte jahrelang auf die Eingebung für ein passendes Rahmenkonzept, um endlich eine bestimmte Buchvorlage adaptieren zu können.
Im Fall von »Nightfall in the Lot« entstanden die Ideen zu Konzept und Buchvorlage gleichzeitig ... als ich eigentlich etwas ganz anderes bauen wollte.
Tatsächlich steckte ich nämlich mitten in der konzeptionellen Planung einer anderen King-Adaption (nein, ich verrate nicht welche*g*), als ich an einem recht spontanen Einfall hängenblieb, der mich sofort begeisterte: dem eines frei beweglichen »Karussell-Modells«
Das Konzept fußte auf der Idee, unterschiedliche Szenerien und Geländearten auf einer runden, beliebig drehbaren Scheibe zu platzieren - ein Ansatz, der eine Vielzahl darstellerischer Möglichkeiten versprach:
Zum einen böte eine ausreichend große Scheibe genug Platz, um konfortabel gleich mehrere Schauplätze derselben Geschichte in einem einzigen Modell unterzubringen und miteinander in Beziehung zu setzen. Zum anderen könnte man - sozusagen als zusätzlichen dramaturgischen Kniff - das zentrale Hauptmotiv des Romans unbeweglich im Zentrum der rotierenden Scheibe platzieren. Es würde somit zu einem unveränderlichen, omnipräsenten Bestandteil eines jeden Settings, dramaturgisch wie inhaltlich enorm reizvoll.
Ich befand die Idee für gut und war sofort Feuer und Flamme. Es gab nur ein Problem: Sie passte nicht zum geplanten Romanvorhaben. Immer wenn ich die Augen schloss und das Konzept visuell auf die ursprünglich geplante Geschichte umzulegen versuchte, war es nicht Castle Rock (ok, so viel kann ich verraten), das ich vor meinem geistigen Auge sah. Ich sah Jerusalem's Lot - dies dafür allerdings umso lebendiger:
Eine kleine Stadt mit ihren zahllosen kleinen Dramen und Einzelschauplätzen, über ihr thronend das Marstenhaus, wie es von seinem Berg herab auf jeden Winkel der Stadt hinabschaut, omnipräsent und doch undurchschaubar, stets im Hintergrund. Es passte erschreckend gut.
Und weil ich gelernt habe, dass man in solch seltenen Fällen, wenn Konzept und Idee sich unvermittelt wie von selbst zu einem einheitlichen Ganzen fügen, gut beraten ist, seinem Bauchgefühl zu folgen, verschob ich kurzerhand mein ursprüngliches Vorhaben auf einen späteren Zeitpunkt - und machte mich umgehend an die Planung von Jerusalem's Lot.
Bauliche Zentralperspektive - Im Zentrum aller Dinge
Bei der Planung der verschiedenen Schauplätze habe ich zunächst lange mit der Auswahl der einzelnen Sektionen und ihrer Anordnung gehadert. Sie sollten einerseits die prägnantesten Schauplätze des Romans widerspiegeln, sprich entsprechend abwechslungsreich und breit gefächert sein, mussten andererseits untereinander aber auch ohne gröbere Brüche aneinanderzureihen bzw. kombinierbar sein.
Nach einigem Hin und Her fiel die Auswahl auf drei repräsentative Straßenzüge der Innenstadt sowie auf die Settings Müllhalde, Friedhof »Harmony Hill« und Stadteinfahrt. Dabei war es mir für die Konzeption der einzelnen Szenerien wichtig, dass jeder Abschnitt in Arrangement und Wirkung eigenständig funktionierte, zugleich aber perspektivisch wie inhaltlich immer auch auf das Mittelelement ausgerichtet blieb: auf das Marstenhaus. Um die optische Fokussierung auf das Mittelelement zu erreichen, spielte vor allem der Einsatz der Perspektive eine wesentliche Rolle. Ich griff hier auf eine bereits sehr lieb gewonnene Technik zurück, die ich seinerzeit beim Bau von Derry entwickelt habe - perspektivische Verzerrung. Praktisch bedeutet dies, dass Straßenzüge, Häuser und Strommasten in sich schräg und perspektivisch verzerrt gebaut werden. Sie verkleinern sich zum Zentrum hin auf nahezu halbe Größe, und ähnlich einer perspektivischen Zeichnung streben ihre Querkanten allesamt auf einen gemeinsamen Fluchtpunkt zu, in diesem Fall logischerweise auf den Marstenhill.
Arbeitet man gerne frei und spontan, so stellt einen die Konstruktion eines solch perspektivisch verzerrt angelegten Gesamtarrangements vor gewisse Probleme. Es wäre schlicht ein irrer Aufwand, Abmessungen und Schrägen der einzelnen Gebäude im Vorfeld exakt errechnen zu wollen. Zudem ließe ein fix errechneter Bauplan kaum Spielraum für spontane Einfälle, Planänderungen oder gar freies Arbeiten.
Mein Kompromiss für dieses Dilemma besteht darin, zwar jeweils einen groben Grundriss zu planen, dann aber jedes Gebäude im Bau individuell an seine Umgebung anzupassen. Diese Anpassung funktioniert mit einfachen Hilfsmitteln und ganz ohne Rechnerei erstaunlich gut:
Hauptwerkzeug stellt hierbei ein Bindfaden dar, dessen Ende an einem definierten Fluchtpunkt an der Rückwand fixiert wird. Mit ihm als Hilfslinie - vergleichbar einer perspektivischen Hilfslinie einer Fluchtpunktzeichnung - lassen sich während des Baus die perspektivischen Schrägen der einzelnen Gebäudefronten recht einfach festlegen. Und tatsächlich braucht es kaum mehr als die maßgebenden Schrägen (Dachkante, Sockel, Fensterober- und Unterkanten), um ein stimmiges Gesamtbild zu schaffen.
Sind die wesentlichen Kanten nämlich einmal definiert, so können alle weiteren Details nach Augenmaß hinzugefügt werden, ohne dass dabei noch viel schief gehen kann.
Bei der Konstruktion von »Jerusalem's Lot« kam allerdings noch eine weitere erschwerende Ausgangsbedingung hinzu: die abfallende Bodenfläche. Stellt es auf ebenem Grund kein Problem dar, die senkrechten Kanten eines Gebäudes mittels Geodreieck festzulegen, so funktioniert dies auf einem Gefälle leider nicht. Um meine Gebäude also auf einer in jeder Hinsicht schiefen Grundfläche gerade auszurichten zu können, war ein weiteres Hilfsmittel notwendig. Ich nutzte hier ein selbstgebautes Schnurlot, um die senkrechten Häuserkanten zu definieren, was mit etwas Übung und Geduld erstaunlich gut funktionierte.
Maß aller Dinge - Die Sache mit dem Maßstab
Eine Frage, die mich immer wieder aufs Neue in Verlegenheit bringt, ist die nach dem Maßstab meiner Modelle. Denn tatsächlich baue ich seit jeher ohne festen Maßstab. Ich rechne keine Längen, Breiten und Höhen maßstabsgetreu aus, sondern schaue mir den Platz an, den ich zur Verfügung habe, zeichne einen groben Grundriss und starte dann („frei Schnauze“ und nach Augenmaß) mit einem zentralen Objekt/Gebäude im Vordergrund. Alle umliegenden Elemente werden in ihrer Größe einfach an dieses Ausgangsmaß angepasst. Natürlich lande ich auch so bei irgendeinem Maßstab – dieser liegt zumeist irgendwo zwischen 1:20 und 1:30. Dieses etwas dilettantisch anmutende Vorgehen hat sich in mehr als einer Hinsicht bewährt:
Da sich nämlich die Größenverhältnisse in meinen Modellen (aufgrund der perspektivisch verzerrten Bauweise) zur Rückwand hin kontinuierlich verkleinern, wäre das Bauen nach einem bestimmten Maßstab ohnehin völlig sinnlos. Mit jedem Zentimeter Raumtiefe hätte er sich sowieso schon wieder verändert. Zudem habe ich die Erfahrung gemacht, dass es für die schlussendliche Wirkung eines Modells einen großen Unterschied macht, ob man sich während des Arbeitens auf den Aufbau einer angestrebten Atmosphäre konzentriert oder auf die unbedingte Korrektheit der äußeren Form. Maßstab und Größenverhältnisse verkraften so einiges an graduellen Freiheiten, sofern die wesentlichen Maße halbwegs stimmen – eine stimmige Atmosphäre nicht. Daher konzentriere ich mich sehr bewusst auf den Aufbau letzterer und passe dabei den Maßstab auch gerne mal situationsflexibel an, je nachdem was gerade betont werden soll.
Ein weiterer Vorteil dieser eher intuitiven Bauweise, ist der einer gewissen Toleranz in Bezug auf Veränderungen in den Größenverhältnissen. Gerade im Fall von »Nightfall in the Lot«, wo grundverschiedenen Raumausschnitte aneinander grenzen (die jeweils einen anderen Maßstab haben), habe ich diesen Umstand sehr zu schätzen gelernt. Hier bestand die Herausforderung darin, die unterschiedlichen Sektoren für die Übergänge zunächst möglichst günstig anzuordnen und dann untereinander so geschickt abzugrenzen, dass die ihre Unterschiede in den Maßstäben kaschiert werden. So grenzt nun die freie Fläche der Müllhalde an die des verwilderten Friedhofs. Und die Veranda von Eva's Pension geht in eine Grasfläche über, an deren äußerem Ende die Friedhofsmauer in einem völlig anderem Maßstab steht – aufgrund der Distanz fällt das aber nicht auf. Die halbe Kunst eines Arrangements besteht eben im geschickten Kaschieren.